Von Christopher Skrabel
Es ist acht Uhr und sieben Minuten danach. Es ist ein Freitagmorgen. Einer dieser Lock-Down-Freitage. Einer der ein bisschen anders ist als die Freitage vor einem Jahr. Ein Freitag, der meine Freunde und mich am Abend nicht in den Samstagmorgen begleiten wird, während wir durch die Grazer Nacht ziehen. Vielmehr verbringe ich gerade die Zeit, wie viele andere auch, zu Hause. Ich schreibe eigentlich jeden Tag, allerlei Sachliches, nur selten über mich und wenn, dann in kurzen What’sApps – dementsprechend bin ich aus der schulischen Übung und kann mich an den Blog nur mehr als Textsorte erinnern.
Meine Aufgabe ist es, die parlamentarische Arbeit der Grazer Abgeordneten Martina Kaufmann zu begleiten. Begleiten bedeutet dabei nicht nur ein bloßes Am-Seitenrand-Mitgehen, sondern in viele unterschiedliche Themen gleichzeitig einzutauchen und sich mit diesen auseinanderzusetzen, an Besprechungen teilzunehmen, mit Referenten zu telefonieren, vorzusortieren und – wie Martina oft sagt – keinen der vielen Bälle beim Jonglieren aus den Augen zu verlieren.
An vielen Tagen des Jahres sieht der Kalender von Martina normalerweise aus wie ein Marathon durch ganz Graz. Wer denkt, dass das aufgrund der aktuellen Situation alles wegfällt, irrt, denn diese Besprechungen haben sich zu einem wahren Sprint von Online-Konferenz zu Online-Konferenz entwickelt. Ein hastiges Klicken zwischen Zoom, Skype, Microsoft Teams und zahlreichen anderen Anbietern dieser ortsungebundenen Konferenzen. Wie sehen die Betroffenen die Verordnungen und Gesetze? Was muss verbessert werden? Weshalb wurde ein Gesetz so beschlossen, wie es beschlossen wurde? Welche Themen müssen für die Zukunft angegangen werden? Wo braucht es für Graz den Einsatz des Nationalrates? Wie kann man Österreich jeden Tag ein Stück besser machen? Fragen über Fragen, Besprechungen über Besprechungen mit einer ganz klaren Conclusio: Das freie Mandat ist mit vielen Erklärungen verbunden.
Erklärungen, die auch die zahlreichen Maßnahmen für ein Überstehen der Krise beinhalten und unzählige Arbeitsstunden der Abgeordneten, die mit den Beschlüssen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie zusammenhängen. Es ist gerade jetzt das Zusammenspiel der Parteien, das Wechselspiel zwischen Regierungsfraktionen und Opposition, aber auch deren Zusammenwirken in bestimmten Fragen ein Beweis dafür, dass Österreich einen gesunden und funktionierenden Parlamentarismus vorzeigen kann. Das Parlament ist das Herz der Demokratie. In meinen Augen eine der schönsten und heute mehr denn je zutreffenden Metaphern. Gerade in diesen Zeiten schlägt dieses Herz stark und hilft dabei, die Krise zu bewältigen – gemeinsam mit der Unterstützung der Bevölkerung.
Eine Vielzahl an Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen wurden im Nationalrat mit der Bundesregierung umgesetzt, deren Aufzählung hier jedoch nur ansatzweise erfolgen kann. Vom Härtefall-Fonds über den Fixkostenzuschuss, den Umsatzersatz, dem Vereins-Paket, der Investitionsprämie, der Gemeindemilliarde (von der Graz mit 36 Millionen Euro profitieren wird), dem Corona-Familienhärtefonds, dem Familienkrisenfonds, dem Rechtsanspruch für Eltern und pflegende Angehörige auf Sonderbetreuungszeit bis hin zum Schulstornofonds wurden Hilfen in der Höhe von rund 50 Milliarden Euro ins Leben gerufen. Das Parlament stellt in dieser Zeit auch Weichen für die Zukunft und investiert in digitale Bildung an den Schulen, in die Lehre, in Universitäten und Fachhochschulen. Nebenbei müssen auch viele andere Teilbereiche des Lebens geregelt werden und das „daily business“ des Nationalrats weitergehen. In meinem Fall ein Antrag meiner Abgeordneten Martina Kaufmann zur Schaffung eines Lehrberufs in der digitalen Fertigung, um für den digitalen Wandel der Arbeitswelt gerüstet zu sein.
Normalerweise hätte ich die vergangenen Tage in Wien am Rande des Plenarsitzungssaales mit anderen parlamentarischen Mitarbeitern verbracht, um vor Ort zu sein, wenn schnell etwas gebraucht wird und um sich am kürzesten Weg über aktuelle Projekte zu informieren. Für mich ist die Zeit in Wien auch immer eine Zeit, in der ich nicht nur „Kolleginnen und Kollegen“ treffe, sondern mit unglaublich guten Freunden zusammenarbeite. Parlamentarische Arbeit schweißt zusammen. Josef, Jakob, Dominik, Pia, Anna-Lena, Rosa, Louis, Marlene, Felix – großes Shout-out an euch. Ich vermisse vieles an der regulären Arbeit als parlamentarischer Mitarbeiter – ganz besonders euch. Die langen Gespräche, die Stunden gemeinsam im Büro an Plenartagen, das Warten auf den Kojen des „Kleinen Redoutensaals“ auf unsere Abgeordneten, die Besuchergruppen mit Schülerinnen und Schülern, das hektische Treiben, die zahlreichen Besprechungen und vor allem dieses Gefühl der Plenarsitzung. Das alles gibt es für mich aktuell nur im digitalen Raum.
Die Umstellung lag im Großen und Ganzen für uns darin, dass wir noch mehr auf elektronischem Weg erledigen und zu Hause bleiben. Die Beantwortung von Bürgeranliegen, die Kommunikation mit den Kabinetten, die Abstimmung von Inhalten und die Ausarbeitung von Terminvorbereitungen – all das wurde schon zuvor auf digitalem Wege erledigt. Wenn mir aber eines in den vergangenen Wochen besonders bewusst wurde, dann das: Politik braucht den persönlichen Kontakt. Nichts ersetzt das Treffen mit anderen Menschen oder das spontane Gespräch mit Referenten am Weg zum Mittagessen im Parlamentsklub. (Parlamentsklub meint dabei keinen elitären Klub in Wien, sondern den Zusammenschluss mehrerer Abgeordneter der gleichen wahlwerbenden Partei zur besseren Besorgung ihrer Aufgaben – sehr einfach ausgedrückt.)
Stell dir vor es ist Zwanzigzwanzig, aber keiner geht hin. So geht es mir gerade oft innerlich. Aber ich bleibe gerade jetzt gerne zu Hause. Für meine Omas, für meine zahlreichen Verwandten im höheren Alter, für all die, die nicht zu Hause bleiben können, weil sie in der Arbeit unabkömmlich sind, für die Menschen, die in den Kranken- und Pflegeeinrichtungen dieses Landes arbeiten und vor allem, weil jedes Leben zählt. Dieses Jahr holen wir auf, es ist nicht „lost“ – da bin ich mir sicher.
Es ist neun Uhr und fünf Minuten danach. Ich habe fertig und wundere mich, wie oft man die „Löschen“-Taste der Tastatur bedienen kann.
Meine Empfehlung für die Zeit daheim:
Aus dieser Zeit und doch in der Vergangenheit: „Die Bagage“ von Monika Helfer
Aus dem Jahr 1919: „Demian“ von Hermann Hesse
Aus dem Bereich Sachbuch: „Demokratie – eine deutsche Affäre“ von Hedwig Richter
Für die Ohren: Maxi hat es schon empfohlen aber ich will es unbedingt wiederholen, denn „Alles gesagt?“ von ZEIT ONLINE auf Spotify ist grandios.